St.Petersburg 13.Dezember 1895/ Russland

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Emanuel Lasker
Das Wettkampfturnier in Petersburg begann am 13. Dezember 1895. Im Grunde genommen konnte man es als Fortsetzung oder, genauer gesagt, als Finale des Turniers von Hastings ansehen. Sowohl deshalb, weil an ihm nur die ersten Preisträger von Hastings mitwirkten, als auch, weil es das gleiche Ziel verfolgte - im Turnierkampf den faktisch stärksten Schachspieler des Planeten zu ermitteln. Das Turnierreglement glich dem des Wettkampfes Steinitz - Lasker - 2 Stunden für 30 Züge und 1 Stunde für 15 weitere. Gespielt wurde von 14 bis 18 Uhr und nach einer Pause ab 20.30 Uhr nochmals 3 Stunden.
Es war das erste internationale Turnier, das in Russland durchgeführt wurde. Erstmals kam auch Lasker nach Petersburg. Man hatte ihn schon mehrfach dorthin eingeladen, um einen Wettkampf gegen Tschigorin zu bestreiten. Er konnte diese Einladung aber nicht annehmen, da er zunächst die Verpflichtung zu einem Revanchewettkampf mit Steinitz einlösen musste. In der ersten Runde traf Lasker mit Weiß auf Pillsbury. Dieser überraschte ihn durch die Wahl der Eröffnung. Wollte er den lokalen Schachfreunden Reverenz erweisen oder Lasker bereits zu Beginn der Begegnung vor schwierige Probleme stellen, auf jeden Fall wartete er mit der in der Turnierpraxis nicht oft vorkommenden Petrow-Verteidigung auf, der man später die Bezeichnung Russische Partie gab (1.e4 e5 2.Sf3 Sf6). Lasker behandelte die Eröffnung nicht auf beste Weise und erhielt Schwierigkeiten mit der Entwicklung des Damenflügels. Sein Kontrahent griff erfindungsreich an und kam schon nach 33 Zügen zum Erfolg. In der anderen Partie dieser Runde triumphierte Tschigorin über Steinitz.

In der zweiten Runde kreuzten die beiden Verlierer Lasker und Steinitz die Klingen. Erneut spielte Lasker, wie schon in Hastings, mit Weiß, und wieder entschied er sich für eine Spanische Partie. Diesmal konzentrierte Steinitz seine Kräfte allerdings nicht auf einer, sondern auf den letzten beiden Reihen ... Der Exweltmeister bereitete lange den programmgemäßen Vorstoß f7 - f5 vor und setzte seinen Plan schließlich durch. In der folgenden Situation fasste er ein Qualitätsopfer ins Auge.

In der dritten Runde hielt Lasker für Tschigorin, einem Spezialisten des Evans-Gambits, eine Überraschung bereit. Statt des üblichen Zuges 7.... ed bot er unerwartet mit 7. Lb6! ein Rückopfer des Bauern an. Diese Fortsetzung war eine theoretische Neuerung und bekam in der Folge die Bezeichnung Lasker-Verteidigung. Ganz offensichtlich hatte er Konzeption und Schlachtplan in dem von ihm erarbeiteten System tief durchdacht. Er spielte bemerkenswert leicht und verbrauchte für die gesamte Partie nur 1 Stunde und 15 Minuten!

Von vielen Schachspielern wurde die Lasker-Verteidigung als Widerlegung des Evans-Gambits angesehen. Tschigorin war damit nicht einverstanden. Ein Jahr später, am 9.Januar 1897, fand in Petersburg zwischen Lasker und ihm eine Demonstrationspartie mit dieser Eröffnung statt. Das Ergebnis blieb das gleiche: Weiß gab sich im 57. Zuge geschlagen. Das Turnier in Petersburg nahm einen äußerst spannenden Verlauf, und die Resultate der Miniwettkämpfe aus sechs Partien waren nicht vorherzusagen. Nach der ersten Hälfte der Veranstaltung hatte Lasker 5,5 Punkte aus 9 möglichen auf seinem Konto, wobei er je 2,5 Punkte aus den Partien mit Steinitz und Tschigorin holte. Nur einen halben Zähler verbuchte er indes gegen Pillsbury, der sich mit 6,5 Punkten an die Spitze setzte. Steinitz verfügte über 4,5, Tschigorin nur über 1,5 Punkte. Die Redensart, dass ,,zu Hause auch die Wände helfen", bewahrheitete sich hier nicht. Tschigorin war mit dem Ablauf des Turniers in Petersburg überhaupt nicht zufrieden, zumal viel organisatorische Arbeit auf seinen Schultern lastete und die Beziehungen zu Mäzenen nicht funktionierten. Auch in Russland hatten es die Berufsschachspieler damals schwer!

Die zweite Hälfte des Turniers fiel bereits in das Jahr1896. Für Lasker begann sie am 4. Januar mit einem Glanzsieg gegen Pillsbury.

Der Weltmeister opferte gegen Steinitz also die Dame. gegen Tschigorin einen Turm und gegen Pillsbury gar beide Türme! Amos Burn nannte diesen Angriff Laskers eine der schönsten Kombinationen aller Zeiten! Man kann sich vorstellen, welchen Auftrieb sie Emanuel Lasker gab, der diese Partie als eine der besten in seiner gesamten Schachkarriere wertete. Er spielte die zweite Hälfte des Turniers noch stärker als die erste und belegte mit insgesamt 11,5 Punkten überlegen den ersten Platz. Pillsbury hingegen, der Held von Hastings und der Dezemberrunden von Petersburg, erlitt in der zweiten Turnierhälfte ein Fiasko, als er drei Partien gegen Steinitz und zwei gegen Tschigorin verlor. Insgesamt holte der amerikanische Schachspieler aus der vierten bis sechsten Runde 1,5 Punkte und fiel auf den 3. Platz zurück, wobei er nicht nur den Weltmeister, sondern auch Exweltmeister Steinitz (9.5 Punkte) an sich vorbeiziehen lassen musste. Tschigorin blieb trotz seines ausgezeichneten Spiels in der zweiten Hälfte des Turniers mit 7 Punkten auf dem 4. Rang.

Lasker gewann auch zwei der drei Miniwettkämpfe: gegen Steinitz mit 4:2 (+ 3, - 1, = 2), gegen Tschigorin mit 5:1 (+ 4, - 0, = 2). Gegen Pillsbury verlor er mit 2,5:3,5 ( + 1, - 2, = 3).

So zeigten sowohl die sportlichen als auch die schöpferischen Ergebnisse der Turniere in Hastings und Petersburg, dass Lasker des Titels des stärksten Schachspielers unseres Planeten würdig war. Er beherrschte gleichermaßen die Kunst der Verteidigung wie des Angriffs! Er überzeugte in der Eröffnung wie in den unterschiedlichsten Mittelspielsituationen und übertraf alle seine Kontrahenten im Endspiel.