Das Turnier begann am 5. August 1895.
In der ersten Runde gewann Lasker ziemlich schnell - bereits im 29. Zuge - gegen Georg
Marco. Er beeilte sich indes nicht, den Turniersaal zu verlassen. Seine Aufmerksamkeit
galt der scharfen Auseinandersetzung zwischen Tschigorin und Pillsbury. Nachdem er sich
davon überzeugt hatte, dass drei weiße Freibauern im vorliegenden Fall stärker waren
als der gegnerische Turm und einen baldigen Sieg garantieren mussten, begab sich Lasker in
den Nebenraum, wohl um eine andere Partie zu betrachten oder ... Inzwischen rückte
Tschigorin einen der Freibauern auf die 8. Reihe vor und stellte auf das Feld g8 einen
umgedrehten Turm, was in der Sprache der Schachspie1er eine Dame(!) bedeutete. Dann eilte
er ins Nachbarzimmer. um sich eine entsprechende Originalfigur zu holen. Ihm entgegen kam
Lasker mit drei weißen Damen in den Händen. Sie dem erstaunten Meister
entgegenstreckend, fragte er mit ernster Miene:,,Ich
hoffe, sie werden Ihnen reichen. Gospodin Tschigorin!"
Lasker war nicht ohne Humor und liebte einen Spaß. In der
zweiten Runde führte das Los Lasker mit Tschigorin zusammen. Dies war ihre erste Partie
und ... der Weltmeister zog den kürzeren.
Am nächsten Tag traf Lasker auf den talentierten
österreichischen Meister und künftigen Weltmeisterschaftsanwärter Karl Schlechter. Von
der aggressiven Einstellung des Champions zeugte schon die Wahl der Eröffnung - erstmals
entschied er sich für die Sizilianische Verteidigung.
In der vierten Runde erlitt Lasker erneut eine Niederlage,
diesmal gegen Curt von Bardeleben. Dieser Turnierverlauf bot eine eigenartige Parallele
zum Beginn des Wettkampfes gegen Steinitz: 1, 0, 1, 0. Sprachen derartige Ergebnisse dort
für eine Ausgeglichenheit der Kräfte und die Härte des Kampfes, bedeuten 2 Punkte aus 4
möglichen in einem Turnier ein ernsthaftes Zurückbleiben hinter dem Tabellenführer.
Offenbar machte sich hier die fehlende Erfahrung Laskers in einem so stark besetzten
Turnier bemerkbar. Hinzu kam, dass er seit zwei Jahren überhaupt an keinem Turnier mehr
teilgenommen hatte .. Währenddessen setzte sich Steinitz an die Spitze. Nach fünf Runden
konnte er das ausgezeichnete Resultat von 4,5 Punkten aufweisen. Lasker aber lag schon 1,5
Punkte zurück. In der sechsten Runde trafen beide aufeinander. Lasker hatte Weiß. Wie
mehrfach in ihrem Wettkampf spielten die Kontrahenten eine Spanische Partie. Nach dem 17.
Zuge von Schwarz Se7 - g8 ergab sich eine einzigartige Stellung, in der noch kein einziger
Bauer abgetauscht worden war und alle schwarzen Figuren auf der 8. Reihe standen!
Es hat den Anschein, als sei der schwarze Damenflügel noch gar
nicht ins Spiel gekommen. Dem ist aber nicht so: Sowohl der Springer als auch der Läufer
haben schon am Kampfgeschehen teilgenommen, sind dann aber plötzlich wieder nach Hause
zurückgekehrt. Steinitz hielt seine Stellung wahrscheinlich für völlig annehmbar,
vielleicht sogar für gut, weil sie keine erkennbaren Schwächen aufweist, während der
Gegner seine Bauernstruktur am Königsflügel bereits "kompromittiere". Lasker,
der viele seiner Prinzipien teilte, konnte in der vorliegenden Situation indes nicht mir
seinem ,,Lehrer" übereinstimmen. Für seinen aktiven Stil gab es genügend Wege, den
Entwicklungsvorsprung seiner Figuren zu verwerten. In den folgenden vier Runden verbuchte
Lasker vier (!) Siege. Steinitz dagegen verlor drei Partien hintereinander und gewann nur
eine. Aber was für eine! In der Begegnung mit einem der Spitzenreiter, Bardeleben. der
bis dahin noch keine Niederlage einstecken musste, verwirklichte er eine denkwürdige
Kombination, die in der Geschichte des Weltschachs einen bleibenden Platz fand. Für
Bardeleben war diese Niederlage ein schwerer Schlag, von dem er sich nicht mehr erholte,
so dass er aus dem Kampf um den ersten Platz ausschied um den sich nunmehr nur noch
drei Spieler bewarben - Lasker, Tschigorin und ... Pillsbury! Vollkommen überraschend
für viele, demonstrierte der fast unbekannte amerikanische Meister, der das Turnier mit
einer Niederlage begonnen hatte, eine beneidenswerte psychologische Stabilität und gewann
eine Partie nach der anderen. Auch sein Misserfolg in der zwölften Runde, als er gegen
Lasker den kürzeren zog, konnte ihn nicht beirren.
Eine andere Überraschung des Turniers war, dass Siegbert
Tarrasch sich nicht unter den Spitzenreitern befand. Nach fünfzehn Runden lag er auf dem
9. Platz. Er rechtfertigte sein unbefriedigendes Spiel damit, dass die Seeluft auf ihn
ermüdend wirke. Im übrigen lieferte er dafür auch den Beweis: Während der Partie gegen
Richard Teichmann schlief er tatsächlich ein und ... überschritt die Zeit. Auf einem
Bankett, das am 22. August, einem spielfreien Tage, stattfand, meinte Tarrasch
diplomatisch, dass das schlechte Abschneiden einiger Teilnehmer durchaus entschuldbar sei:
,,Die Stadt ist zu bezaubernd, sie beschert zu viele
beglückende Eindrücke." Über dieses Bankett schrieben die Zeitungen, dass sich die
Speisekarte ,,durch Erlesenheit auszeichnete und von der kulinarischen Kunst der
viktorianischen Epoche geprägt war. Am Abend herrschte Ausgelassenheit, es wurden Toaste
ausgebracht und einige seriöse Reden gehalten. Lasker sprach über den Nutzen von
Schachveranstaltungen und teilte dann mit, er werde seinen ständigen Wohnsitz nach
England verlegen, das er als seine zweite Heimat ansehe. Steinitz erklärte, dass dieses
Turnier eine neue Ära des Schachs einleite. Tschigorin dankte dem Komitee für das
aufmerksame Verhalten und nutzte die Gelegenheit, ein bevorstehendes Turnier in Petersburg
anzukündigen."
Gegen Ende des Turniers hatte sich Tarrasch
,,akklimatisiert" und landete, nachdem er sechs Partien in Folge gewann, schließlich
noch auf dem 4. Platz. In einer von ihnen war ihm allerdings das Lächeln Fortunas hold,
über das sich Tarrasch gern so weitschweifig ausließ, wenn es andere begünstigte ...
Dies geschah in der neunzehnten Runde, als er gegen Lasker zu spielen hatte, der zu diesem
Zeitpunkt mit 14,5 Zählern die Tabelle anführte, wobei er einen halben Punkt vor
Tschigorin und einen ganzen vor Pillsbury lag.
In einer Spanischen Partie erlangte Tarrasch mit Weiß ein
kleines positionelles Übergewicht. Lasker verteidigte sich originell und postierte seinen
König vor den Bauern des Damenflügels auf der 6. Reihe. Tarrasch, der viel Zeit
verbrauchte, um die "besten Züge" zu finden, büßte unmerklich die Initiative
ein, und im 25. Zuge leitete Lasker mit Td7 - d5 selbst aktive Operationen ein.
Es lässt sich denken, wie verärgert Lasker war, als er gegen
Tarrasch verlor, zumal er vorher schon gegen Tschigorin und Bardeleben den kürzeren zog,
d. h. gerade gegen jene Schachspieler, die Zweifel an der Berechtigung seiner
Weltmeisterwürde hegten. Erwähnt sei, dass Lasker fortan auf Turnieren nie wieder gegen
Tarrasch verlor!
Zum ersten und letzten Mal in seiner Schachkarriere verhielt
sich Lasker nach einer Niederlage nicht wie ein weiser Philosoph, sondern wie ein
Hasardeur, und die Strafe folgte auf dem Fuße. In der nächsten Runde musste er eine
weitere Schlappe hinnehmen, diesmal gegen den die gesamte Partie ausgezeichnet spielenden
James Blackburne. Im Endergebnis kam der Weltmeister auf 15,5 Punkte und belegte den 3.
Rang. Erster wurde Pillsbury mit 16,5, Zweiter Tschigorin mit 16 Punkten. Vierter blieb
Tarrasch mit 14, Fünfter war Steinitz mit 13 Punkten. Interessant erscheint, wie diese
,,großen Fünf" untereinander abschnitten. Das beste Resultat verzeichnete
Tschigorin mit 3 Punkten aus 4 möglichen. Lasker, Pillsbury und Tarrasch verbuchten 2
Punkte, Steinitz 1 Punkt. Verblüffend war dabei ihre Kompromißlosigkeit: Sie teilten
untereinander keinen einzigen Punkt! Beurteilt man die Resultate von Hastings insgesamt,
hat Lasker die schwere Prüfung zweifellos bestanden. Selbst Tarrasch musste dies
eingestehen, wenngleich mit einer Portion Ironie und in herablassendem Tone: "Der
dritte Preisträger Lasker wies erstmals nach, dass er ein sehr starker Spieler ist."
So schrieb man über einen Weltmeister! Wer war denn nun
wirklich der Stärkste? Diese Frage sollte das Petersburger
Wettkampfturnier klären, zu dem alle fünf Sieger eingeladen wurden. Überraschend
verzichtete indes gerade Tarrasch auf die Teilnahme, was er mit beruflicher
Unabkömmlichkeit begründete.