Im
November 1896 stand Lasker die Wettkampfrevanche bevor. Seit dem ersten
Duell zwischen Steinitz und Lasker waren zweieinhalb Jahre vergangen. In dieser Zeit
wurde deutlich, dass Steinitz trotz seines Alters ein würdiger Anwärter auf die
Weltmeisterschaft blieb. Dies zeigte sein Abschneiden auf drei Turnieren: in Hastings
belegte er den 5., in Petersburg den 2. und in Nürnberg den 6. Platz. In jedem dieser
Turniere verzeichnete er eine Reihe vortrefflicher schöpferischer Leistungen.Andererseits war Lasker auf diesen Veranstaltungen einmal Dritter und
zweimal Erster. Von den acht Partien gegen Steinitz gewann er fünf und verlor nur eine.
Wenn Steinitz unmittelbar nach dem ersten Wettkampf noch hoffte, die Krone zurückerobern
zu können so ahnte er jetzt wohl in der Tiefe seiner Seele, dass sich die Zeit
nicht mehr zurückdrehen ließ!
Auch unter den Mäzenen erhob sich die verständliche Frage ob
es sich lohne, diesen nochmaligen Wettkampf zu organisieren, dessen Ausgang ziemlich klar
vorauszusagen war. In Amerika fand Steinitz jedenfalls keine Gönner mehr. Er brannte
jedoch auf Revanche und überzeugte allmählich andere und ... sich selbst, dass er gegen
Lasker gewinnen würde. Nach einem Gastspielaufenthalt im winterlichen Riga des Jahres
1896 verabschiedeten ihn Freunde mit den Worten: ,,Das nächste Mal werden Sie als
Weltmeister zu uns kommen!" Zu diesem Zeitpunkt stand bereits fest, dass der
Revanchewettkampf Ende des Jahres in Moskau stattfinden würde. Die Finanzierung
übernahmen Moskauer Mäzene, unter ihnen der Millionär M. N. Bostanshoglo. Sie spendeten
für den ersten Revanchewettkampf in der Geschichte der Schachweltmeisterschaften 3000
Rubel. Die Bedingungen waren die gleichen wie beim ersten Wettkampf in Amerika - 10
Gewinnpartien. Der Sieger sollte 2000, der Verlierer 1000 Rubel erhalten. Außerdem
schlossen Lasker und Steinitz noch eine Wette über 500 Rubel ab, so dass sich der
Siegfonds auf 2500 Rubel erhöhte.
Der Wettkampf begann am 7. November 1896 im Gebäude des
Moskauer Ärztevereins in der Großen Dmitrowka (der heutigen Puschkinstraße 32), wo auch
ein Schachzirkel seine Heimstätte hatte. In dieser hübschen zweigeschossigen Steinvilla
mit den beiden reichlich verzierten Balkons war in der ersten Etage ein geräumiger Saal
für diese historische Veranstaltung hergerichtet worden. In der 1. Begegnung wählte
Steinitz mit Weiß die Italienische Partie und bot schon im 10. Zuge ein Figurenopfer an.
Lasker stand vor einem Dilemma: Sollte er es annehmen und sich damit einem weitberechneten
Angriff aussetzen oder einen anderen, ruhigeren Weg vorziehen? Er hielt es für seine
Pflicht, die Herausforderung anzunehmen. Es entsprach nicht seinem Charakter, sich vor
Gefahren zu fürchten. Das Risiko erwies sich als ziemlich hoch. Der schwarze König sah
sich bald genötigt, sich über f7 nach g6 zu begeben. Abgedeckt durch Läufer und Dame,
konnte er jedoch allen Drohungen entgehen. Als es Lasker gelang die Damen zu
tauschen, erschöpfte sich der weiße Angriff schnell, und nach dem 44. Zuge gab Steinitz
auf.
Ganz anders verlief die 2. Partie. Nach ruhiger Entwicklung des
Geschehens in der Eröffnung, begleitet vom Abtausch der Damen und zweier Figuren, kam es
im Mittelspiel zu einem stürmischen Handgemenge, das damit endete, dass der schwarze
König mitten auf dem Brett matt gesetzt wurde.
Ein seltenes Matt im Zentrum des Brettes!! Unter seinem Eindruck
wiederholte der 60jährige Veteran in der nächsten Begegnung seine Variante mit dem
Läuferopfer in der Italienischen Partie! Lasker, der die weißen Möglichkeiten gut
erforscht hatte, gab die Figur diesmal schnell zurück. Nachdem er keinen Angriff
erlangte, verlor Steinitz den Faden. Schwarz aber rochierte lang und organisierte ein
gefährliches Gegenspiel am Königsflügel, indem er durch geistreiches Zusammenwirken von
Dame und weißfeldrigem Läufer Drohungen in der Diagonale hl - a8 schuf. Als noch ein
Turm und der h-Bauer ins Geschehen eingriffen, konnte sich Weiß nicht mehr verteidigen,
so dass er im 35. Zuge den Widerstand einstellte. Nach angespanntem 66zügigem Kampf
gewann Lasker auch die 4. Partie. Steinitz fühlte sich sichtlich unwohl. Während des
Spiels legte er sich des öfteren einen Eisbeutel auf den Kopf, um die Schmerzen zu
lindern. Nach der 6. Partie wurde beim Stande von 5:0 (eine Begegnung ging remis aus) eine
Wettkampfpause von zehn Tagen eingelegt. Sie schien Steinitz von Nutzen zu sein. Die drei
folgenden Partien endeten remis. Beginnend mit der 5. Begegnung, änderte Steinitz sein
Eröffnungsrepertoire. In allen weiteren Weißpartien spielte er nur noch 1.d2 - d4.
Lasker hingegen blieb in diesem Kampf dem Zuge 1.e2 - e4 treu. Er zog es vor, sich mit
Steinitz ,,in der Sprache der Spanischen Partie zu unterhalten".
Nur einmal, in der 6. Begegnung, wählte er die Italienische
Partie.
Nach der 10. Begegnung, in der Lasker ein Remisangebot ablehnte
und ein scheinbar absolut ausgeglichenes Endspiel gewann, wurde der Wettkampf erneut
unterbrochen. Die nächste Partie fand sechs Tage später, die 12. erst nach einer
weiteren Woche statt. Dann wurde vereinbart, nach jeder Partie vier Tage Pause zu machen.
Dieses schleppende Tempo wirkte sich auf Lasker negativ aus. Nach dem Gewinn der 11.
verlor er hintereinander zwei Partien, die 12. und 13. Trotzdem war klar, dass es zu einer
Wende im Wettkampf nicht mehr kommen konnte. Aus den nächsten drei Begegnungen holte der
Weltmeister zwei Siege und ein Remis so dass es nunmehr 9:2 stand (die
Punkteteilungen nicht mitgerechnet). Vor der 17. Wettkampfpartie wurde nochmals eine Pause
eingelegt, die sich gar über zwölf Tage erstreckte. Die am 14.Januar 1897 ausgetragene
17. Partie sollte indes die endgültig letzte sein, denn Lasker gewann sie und verteidigte
damit die Schachkrone. Das Endergebnis des Wettkampfes lautete + 10, - 2, = 5 zu Gunsten
des alten und neuen Champions. ,,Warum habe ich derart sang- und klanglos verloren?"
schrieb Steinitz in der New Yorker Zeitung ,,Sun" vom 17. Dezember 1896. ,,Deshalb,
weil Lasker der größte Meister des Schachspiels ist, dem ich jemals begegnete,
wahrscheinlich sogar der größte von allen, die je lebten." Zu anderen Gründen, die
ihn daran hinderten, mit voller Kraft aufzutrumpfen, räumte der Exweltmeister ein:
,,Während eines Wettkampfes hat ein Schachmeister ebenso wenig das Recht, krank zu sein,
wie ein General auf dem Schlachtfeld."
Viele Verehrer Steinitz erklärten die Niederlage ihres Idols
gerade mit seiner Unpässlichkeit. Schiffers, der Zeuge des Zweikampfes war, trat dieser
Meinung entschieden entgegen. In der von ihm redigierten Petersburger Monatsschrift
,.Schachmatny jurnal" (Nr. 1, Januar 1897) betonte er in seinem Artikel ,,Der
Wettkampf zwischen E. Lasker und W. Steinitz": ,,Steinitz ist nicht so naiv, gegen
Lasker anzutreten, wenn er sich dabei seiner Ohnmacht bewusst wäre, vor allem nachdem er
sich sogar in der Presse rühmte, ausgezeichnet in Form und in der Lage zu sein, Lasker zu
schlagen ... Steinitz Partien zeigen eindeutig, dass sein Spiel keineswegs
schwächer geworden ist. Er spielte so, wie Steinitz auch vorher spielte. Es brauchte nur
ein anderer als Lasker zu versuchen, Steinitz herauszufordern - er würde die ganze Wucht
und Schlagkraft seines Spiels zu spüren bekommen" Die Auffassung des Petersburger
Meisters, der zusammen mit Albin und Tschigorin als Begründer der russischen Schachschule
gilt, über das Spiel Steinitz war deshalb besonders wertvoll, weil gerade er kurz
zuvor - im Frühjahr 1896 - in Rostow einen Wettkampf gegen den Exweltmeister bestritten
hatte. Schiffers musste sich dabei von Steinitz ungebrochener Stärke überzeugen,
verlor er doch mit + 4, - 6, = 1.
Im weiteren wurde das Können des Weltmeisters in der
Zeitschrift allseitig gewürdigt:
Lasker spielt weitaus schneller als Steinitz, er verbraucht
weniger Zeit, um sich seine Züge zu überlegen. Sein Spiel ist freier, und man gelangt
unwillkürlich zu der Überzeugung, dass Lasker in den Partien mit Steinitz nicht all
seine Karten aufdeckt, sondern noch irgend etwas Stärkeres in Reserve hat, das er sich
für schwierigere Kämpfe aufspart. Lasker, der im Stile Steinitz und nach den Leitsätzen
seiner ,,Neuen Schule" handelt, demonstriert zudem eine derartige Tiefe der
Kombinationen und vollste Selbstbeherrschung. wie man sie bei Steinitz nicht antrifft.
Ganz besonders zeichnet sich Lasker unter den gegenwärtigen Meistern durch sein
außerordentlich tiefes Stellungsverständnis und die geniale Endspielführung aus. Er
steht dem berühmten Morphy in nichts nach und
nimmt heute mit uneingeschränkter Allmacht dessen Platz ein.