Die
Hauptstadt Englands war lange Zeit das Zentrum des internationalen Schachlebens, das viele
berühmte Meister anzog, die zu Anwärtern auf die Weltmeisterschaft wurden - Wilhelm Steinitz, Johann Zukertort, Isidor Gunsberg. Jetzt kam
auch Lasker hinzu. Unmittelbarer Anlass der
Reise nach London war die dort 1891 durchgeführte Deutsche Industrieausstellung. Ihr
Direktor, ein großer Liebhaber des Schachs, wollte das in diesem Lande populäre Spiel
nutzen, um die Anzahl der Besucher zu erhöhen und lud Lasker ein, eine Zeitlang in einem Schachpavillon zu
agieren. Emanuel sagte zu, da er auf diese Weise seinen Eltern und Schwestern helfen
konnte, nach Berlin zu ziehen. Obwohl das 60 jährige Familienoberhaupt dadurch ohne
Arbeit blieb, behielt er seine geistige Frische. Die Töchter waren schon erwachsen, und
Adolf ging daran, die Mußestunden zu nutzen, um seine Bildung durch das Studium der
lateinischen und griechischen Sprache zu ergänzen. So traf er sich auf einem
"Umweg" mit den Interessen seiner Söhne: Der ältere beherrschte Latein, als er
den hippokratischen Eid ablegte, und der jüngere machte sich ausgezeichnet die Lehren und
Postulate der griechischen Mathematiker und Philosophen zu eigen!Um die Verwirklichung seiner Pläne und eine sorgenfreie Existenz der Familie
materiell abzusichern, beschloß Lasker, zumindest zeitweilig das Studium an der
Universität aufzugeben und das Schachspiel professionell zu betreiben. Nach Beendigung
der Ausstellung bleibt er in England und nimmt 1892 an dem Turnier des 7. Kongresses der
Britischen Schachassoziation teil. Der Anführer der englischen Schachspieler, James
Blackburne, widersetzte sich der Einladung des deutschen Meisters zu dieser nationalen
Veranstaltung und drohte sogar, selbst abzusagen. Seine Argumente konnten die
Organisatoren jedoch nicht überzeugen. Lasker wurde zugelassen und feierte einen
glänzenden Sieg, wobei er den 2. Preisträger, den irischen Meister James Mason (1849 -
1905), um 1,5 Punkte hinter sich ließ. Als er die Ergebnisse des Turniers kommentierte,
schrieb der Redakteur der Zeitschrift ,,The Chess Monthly", Leopold Hoffer: ,,Der
Sieg Laskers ist für
uns keine Überraschung."
Von der gewachsenen Autorität Laskers in England zeugte auch der Charakter einiger
Partien. So spielte Lui van Fliet, der einzige, der in Amsterdam gegen Lasker gewann,
diesmal selbst mit den weißen Steinen äußerst vorsichtig und verbarg nicht sein
Interesse an einer Punkteteilung.
Kaum war der Kongress beendet, da organisierte der Britische
Schachbund (British Chess Club) ein doppelrundiges Turnier mit Lasker und den vier
stärksten Schachspielern Englands - Blackburne, Mason, Gunsberg und Bird. Wieder wurde Lasker Erster, was ihm ein
Preisgeld von 50 Pfund Sterling eintrug. Dabei gewann er beide Male gegen Blackburne und
Bird und gab nur drei halbe Punkte ab.
Jetzt kam Joseph Henry Blackburne (18411924) nicht mehr
umhin, im Mai desselben Jahres zu einem Wettkampf gegen Lasker anzutreten. Schon Howard Staunton war auf diesen
bemerkenswerten Schachspieler aufmerksam geworden und hatte den 20jährigen jungen Mann
zum Zweiten Londoner Internationalen Turnier (1862) eingeladen, wo übrigens auch Steinitz debütierte.
Charakteristisch für ,,black death" (Schwarzer Tod) war
wie für viele andere englische Schachspieler eine bewundernswerte Kaltblütigkeit in
kompliziertesten Situationen am Brett und bei anderen Anlässen. Mit der Seele und im
Kampf blieb Blackburne stets ein Romantiker, der kühn halsbrecherische Verwicklungen
schuf und glänzend kombinierte. Besonders beachtenswerte Erfolge erzielte er in
Turnieren. Es genügt, an solche Siege Blackburnes in den 80er Jahren zu erinnern wie in
Wiesbaden (1880), Hereford (1885), London (1886) und vor allem auf dem glänzend besetzten
Turnier in Berlin 1881, wo er den 2. Preisträger Zukertort um 3 Punkte hinter sich ließ!
Um so überraschender kam deshalb sein Ergebnis im Aprilturnier
von London (1892), bei dem er unter den fünf Teilnehmern nur den 2. Platz belegte und in
beiden Partien gegen den Meister aus Berlin den kürzeren zog. Obwohl Blackburne ein
ausgezeichneter Turnierkämpfer war, erlitt er in Zweikämpfen mit Koryphäen mitunter
empfindliche Schlappen. Den bevorstehenden Wettkampf mit Lasker hoffte er natürlich zu gewinnen.
Am 27. Mai eröffnete Blackburne die erste Begegnung mit dem
Königsbauern. Lasker
blieb sich treu und wählte in der Spanischen Partie die Steinitz-Verteidigung. Weiß ging
sehr bald entschlossen am Königsflügel vor, wobei er seinen König in der Mitte
stehenließ. Lasker
verteidigte sich ruhig und exakt. Im 33. Zuge erreichte der Kampf seinen Höhepunkt. Weiß
hatte seine Figuren in scheinbar ideale Angriffspositionen gebracht. Aber plötzlich
geriet sein Springer c5, der auf den ersten Blick so erfolgreich ins gegnerische Lager
eingedrungen war und dem weißfeldrigen Läufer alle nützlichen Felder nahm, in eine
Falle. Mit einer Figur weniger sah sich Blackburne schnell zur Kapitulation gezwungen. In
der 2. Partie gelang es dem englischen Meister, für nur einen Bauern die Qualität zu
gewinnen. Doch diesmal agierte der weiße Springer erfolgreicher, und Lasker konnte alle
Gefahren abwenden. Im 55. Zuge endete das Spiel remis. Zum gleichen Resultat kam es auch
im 3. Treffen.
Dann gewann Lasker die 4. und 5. Partie. Es entstand der Eindruck, dass ihm die ersten drei
Begegnungen nur zu ,,Aufklärungszwecken" dienten. Jetzt wusste er, wie er diesen
Kontrahenten zu bekämpfen hatte, um ihn in die Knie zu zwingen. Blackburne kam auch in
den folgenden fünf Partien nicht mehr dazu, seine kombinatorische Begabung zu
demonstrieren.
Lasker hatte
gleichermaßen Erfolg mit den weißen wie den schwarzen Figuren. Er gewann in diesem
Wettkampf mit beiden Farben je drei Partien. Mit Schwarz bekam er in der Regel keine
besonderen Schwierigkeiten, obwohl sein Kontrahent als äußerst theoriekundig galt. Das
Eröffnungsrepertoire Blackburnes war in diesem Wettkampf recht vielgestaltig. Er spielte
die Spanische Partie, das Damengambit, und in der 7. Begegnung wählte er die Wiener
Partie. Dabei wollte er Lasker dadurch überraschen, dass er schon im 3. Zuge vom üblichen Entwicklungsschema
(3.f2-f4) abwich und statt dessen mit 3.d2-d4 aufwartete. Lasker konnte dies jedoch nicht
in Verlegenheit bringen. Er fand die beste Erwiderung auf den weißen Plan, tauschte die
Damen und nutzte danach geschickt den in diesem Fall realen Vorteil des Läuferpaares in
einer offenen Stellung.
Der Wettkampf endete 8:2 zugunsten Laskers.