Glanzvoll und überraschend für alle
ging Frank Marshall aus dem Turnier als Sieger hervor. Er holte 13 Punkte aus 15 Partien
und ließ Lasker und Janowski, die sich den 2.- 3. Platz teilten,
gleich zwei Punkte hinter sich. Dabei schloss der Weltmeister nur deshalb zu Janowski auf,
weil er in der letzten Runde gegen ihn zum Erfolg kam. Diese Partie wurde zu einer der
interessantesten des Turniers, und dies nicht nur wegen ihrer Bedeutung für die
Endabrechnung, sondern auch wegen der Leidenschaftlichkeit des Kampfes. In der Folge kamen
viele Analytiker immer wieder auf diese Begegnung zurück.Im Spiel Laskers machte sich seine fehlende
Turnierpraxis bemerkbar: immerhin hatte er an derartigen Veranstaltungen schon vier Jahre
nicht mehr teilgenommen! Dennoch spielte der Weltmeister eine Reihe unvergesslicher
Partien. In einigen demonstrierte er seine vorbildliche Endspieltechnik, wie z. B. gegen
Delmar und Teichmann, in anderen großartige Angriffe und Gegenattacken, so in den Partien
mit Tschigorin, Mieses und Napier. In der letztgenannten schlugen sich beide Kontrahenten
ausgezeichnet. Sieht man sie sich an, glaubt man ein Meisterwerk vor sich zu haben, das
nicht am Anfang des 20., sondern Mitte des 19.Jahrhunderts geschaffen wurde. Denn so
spielten einmal die alten Meister, die Romantiker des Schachs!
Nach fünf Runden verfügte Lasker
über 4 Punkte und lag mit an der Tabellenspitze. In der 6. Runde zog er jedoch gegen
seinen "alten Rivalen" Pillsbury den kürzeren, der speziell für dieses Treffen
mit ihm eine Verstärkung in einer Variante vorbereitete, die beide schon im Petersburger
Turnier von 1895/96 auf dem Brett hatten. Durch diesen Sieg verbesserte Pillsbury das
Punktekonto ihrer persönlichen Begegnungen. Es lautete nunmehr nur noch +5, -4, =4 zu
Gunsten von Lasker.
Eine weitere Niederlage musste Lasker
gegen Schlechter einstecken, wobei er ebenfalls mit den schwarzen Steinen spielte. Diesmal
nötigte Lasker seinem Gegner geradezu einen Angriff auf, als er
seine Rochadestellung mit den aktiven Zügen f7-f5 und g7-g5 sträflich entblößte.
Schlechter blieb überhaupt nichts anderes übrig, als die Herausforderung anzunehmen.
Seine Drohungen erwiesen sich dabei als konkreter und gefährlicher. Lasker
musste ohne ausreichende Kompensation die Dame opfern und stellte im 37. Zuge die Uhr ab.
Und obwohl Lasker in den verbliebenen Runden nur noch Siege
verbuchte, konnte er den enteilten Marshall nicht mehr erreichen.
Wie nahm die Schachwelt die Ergebnisse von Cambridge Springs
auf? Die Amerikaner jubelten natürlich: Unter den fünf Besten befanden sich zwei ihrer
Landsleute. Den 5. Platz belegte der gut spielende Showalter, und den Sieg errang
Marshall. Er verlor dabei keine einzige Partie und wurde von der Presse als ein würdiger
Nachfolger Paul Morphys bezeichnet! Was Lasker angeht, so zeigte,
wie die Zeitschrift ,,Checkmate" feststellte, "der große Achill seine
Verwundbarkeit". Auch in Europa riefen die Ergebnisse des Turniers Zweifel an der
unangefochtenen Vorherrschaft Laskers über andere Spitzenkönner
hervor. Die Zeitschrift ,,Bohemia" schrieb:
,,Der Weltmeister hat die Erwartungen seiner Anhänger diesmal
etwas enttäuscht. Kann man die Niederlage gegen Pillsbury, der im Damengambit einen
neuen, lange geheim gehaltenen Zug anwandte, noch entschuldigen, so ist dennoch nicht zu
übersehen, dass von der großen Überlegenheit, mir der er vor einigen Jahren alle seine
Konkurrenten in den Schatten stellte, heute keine Rede sein kann. Der Hauptgrund für den
relativen Misserfolg, der für viele andere Meister selbstverständlich noch ein
herausragendes Ergebnis gewesen wäre, ist vermutlich die ungenügende Anzahl von Treffen
mit starken Gegnern." In der Tat, die Weltmeisterkrone wiegt schwer! Von einem
Schachkönig erwartet man nur Siege, und schon ein zweiter Platz ist ein Misserfolg! Immer
und überall zu gewinnen ist jedoch unmöglich. Dies wusste auch Lasker.
Und so war er bereit, die Herausforderung jedes namhaften
Schachspielers anzunehmen, um sein Renommee aufzufrischen!
Lasker als Vorkämpfer für bessere Bedingungen!
Bald nach Beendigung des Turniers hielt es sein Sieger Marshall
für vertretbar, dem Weltmeister den Fehdehandschuh hinzuwerfen. Lasker
nahm ihn auf. Dabei behielt er sich das Recht vor, Ort und Zeit des Kampfes festzulegen,
während er dem Herausforderer die Verpflichtung auferlegte, den Preisfonds zu sichern.
Als sich herausstellte, dass Marshall nicht in der Lage war, diese Bedingung zu erfüllen,
wurden Vorwürfe an die Adresse Laskers laut. William Napier
äußerte sich in der "Pittsburgh Dispatch" wie folgt: ,,Wie viele Züge in
einer ;Stunde zu machen und wie viele Partien insgesamt zu absolvieren sind, dies nach
seinen eigenen Wünschen festzulegen, sollte man Lasker durchaus
zubilligen. Was aber die Einsätze und die Austragungsorte des Wettkampfes betrifft, legt
er Marshall Hindernisse in den Weg, wie es einem wahren Sportsmann unwürdig ist."
In der Septembernummer der Zeitschrift "Checkmate"
bestritt man ebenfalls die Rechtmäßigkeit der Bedingungen des Weltmeisters: "Unsere
Erwartungen, einen interessanten Wettkampf zu erleben, erfüllten sich nicht. Lasker hat mit seiner unnachgiebigen Forderung, um mindestens 2000
Dollar zu spielen, sofort alle Hoffnungen zunichte gemacht."
In einem Antwortbrief an den Redakteur der Zeitschrift
erläuterte Lasker seine Position recht eindeutig: ,,Mit
Verärgerung sah ich, dass Sie in Bezug auf die Herausforderung Marshalls zu einem
Wettkampf um die Weltmeisterschaft meine Bedingungen scharf kritisieren, und zwar, dass
ich auf dem Einsatz von beiderseits mindestens 2000 Dollar bestehe ... Wovon lasse ich
mich bei der Wahl des Gegners leiten? Wenn mich ein Schachspieler zu einem Wettkampf
herausfordert und die finanziellen Bedingungen nicht erfüllen kann, ist völlig klar,
dass die Schachwelt seine Verdienste als zu gering wertet, um für den Weltmeistertitel zu
kandidieren; folglich wäre es für ihn besser, irgend jemand anderen zum Zweikampf zu
fordern. Im vorliegenden Fall dürfte es für Marshall nicht schwer sein, zu den
vorgeschlagenen Bedingungen einer Wettkampf gegen Janowski zu organisieren.
Außerdem vergessen Sie meines Erachtens noch einen weiteren
wichtigen Aspekt. Will die Schachwelt sich beglücken lassen, in Spannung gehalten werden
und von den Stärksten lernen, d. h. alles erhalten, was gerade ein Wettkampf um die
Weltmeisterschaft Zehntausenden heutiger Schachspieler und in bestimmtem Maße sogar
künftigen Generationen bietet, warum soll die Schachwelt dafür nicht bezahlen? Ich habe
bereits darauf verwiesen, dass die Teilnehmer nicht wenig Zeit und Gesundheit opfern.
Weshalb erwartet die Schachwelt all diese Opfer von einem Meister, weshalb schafft sie
nicht die Bedingungen, wo sich die ganze Frage doch im wesentlichen ... um die
Prämiensumme dreht!" Nach Beendigung des Turniers in Cambridge Springs blieb Lasker in Amerika. Unter seiner Redaktion wurde schon bald die
Zeitschrift ,,Laskers Chess Magazine" ins Leben gerufen.