Skurrile Eröffnungszüge
Holländisch

Copyright © Martin Böhm

Einleitung:

Jeder Spieler kennt die Probleme mit ewig lang ausanalysierten Eröffnungs-Varianten, deren beste Haupt-Zugfolge dann je nach Informationsstand früher oder später wegen Unkenntnis abgebrochen werden muß... liegt der Zeitpunkt früher, kann/muß die eigene Kreativität beginnen, liegt er später, muß eine bekannte Variante womöglich bis ins Endspiel verfolgt werden...

man fühlt sich "an der Hand geführt", ja kreativ unterdrückt, denn, weicht man von diesem engen Grat ab, hat man nicht selten mit klaren Nachteilen für diese Entscheidung zu rechnen...

gegen solches dogmatisches Buchwissen richtet sich mein neuer Trainings-Beitrag, dem ich den Obertitel "Skurrile Eröffnungszüge" gab...skurril, weil diese Züge "schräg", ja auch riskant, wahrscheinlich unbekannt sind...sie sollen den Gegner auf wildes, neues Terrain locken, zur Überprüfung unserer tatsächlichen Fähigkeiten...

man freut sich dann umso mehr, wenn solche Eigenbauten zu Erfolgen führen, und ist stolz, wenn sie teilweise Glanzpartien hervorbrachten, auch gegen starke Gegnerschaft, die man unter vielleicht anderen Eröffnungs-Umständen nicht schlagen würde...!

Einen solchen Diskurs hatte ich irgendwann für Schwarz in "Holländisch" in der Leningrader Variante, bei dem ich das übliche Zentrumspiel des Weißen in 3 Partien mit unerwartetem Flankenangriff (Zug b5) "stören" wollte, in der anderen den Turm auf Umwegen ins Zentrum spielte, um eine Desorganisation der feindlichen Kräfte zu erreichen...








nun seht selbst, es geht um diesen Stellungstyp...

· Müller,L - Böhm,M 0-1

· Allwermann - Böhm 0-1

· Müller,M - Böhm,M ½-½

· Döring - Böhm,M 0-1

Jetzt könnt ihr selbst beurteilen, wie euch diese Ideen gefallen haben, diese Motive sieht man nicht alle Tage..!

Habt Mut und Vertrauen und testet mal selbst...dieses oder ähnliches... gerne können wir gemeinsam am Brett die einzelnen Ideen nochmals erläutern...!










Stellung nach:

Müller,L - Böhm,M [A88]
Lenk, 1989

1.d4 f5 2.Sf3 Sf6 3.g3 g6 4.Lg2 Lg7 5.0-0 0-0 6.c4 d6 7.Sc3 c6 8.d5 Kh8 9.Dc2 De8








10.b3 soweit die Eröffnungstheorie, aber jetzt sticht mich der Hafer, ich finde am Brett einen sehr komplizierten Zug, dessen Tiefsinn erst sehr viel später zu sehen ist...mein junger Gegner ist gerade in der aufsteigenden Phase, ELO um die 2300...er soll geprüft werden. 10...b5!!








11.dxc6?! die 2 Ausrufezeichen kennzeichnen vorrangig den "skurrilen" Zug... [11.cxb5 cxd5 12.La3 Lb7 13.Sg5 Dd7 14.Tad1 Tc8 in dieser Variante hat Schwarz starken Einfluß im Zentrum, FRITZ sieht hier Vorteil; 11.Sd4 Se4 12.Sxe4 Lxd4 13.Lb2 Lxb2 14.Dxb2+ Kg8 15.Sd2÷] 11...bxc4 das war die andere Idee, Isolani auf c4 erzeugen 12.Sb5 dieses Streben nach der Qualität auf a8 ist m.E. nicht gut, denn nach wenigen Zügen hat Schwarz volle Entwicklung, bei maximalem Spiel... 12...Sxc6 13.Sc7 Dd7 14.Sxa8 Se4 15.Lb2? das ist ein ernster Fehler, denn es verliert Zeit... bei momentaner Materialverteilung Turm gegen Bauer fürchtete ich Tb1 sehr viel mehr. 15...c3! 16.La3 La6 17.Tad1 Txa8 18.Tfe1 Dc7 19.b4?! Lc4 20.e3 a5! 21.b5 Sb4 22.Lxb4 axb4 hier erreichte Schwarz eine technische Gewinnstellung, die verbundenen schwarzen Bauern i.V. mit den schwachen a2, b5, schwarzem Läuferpaar, offene Turmlinie sollte W. schnell den Garaus machen. Der Rest ist Agonie... 23.Ta1 e5 24.Sg5 d5 25.Se6 Da5 26.Sxg7 Kxg7 27.Lxe4 fxe4 28.Ted1 Tb8 29.Kg2 Txb5 30.f3 exf3+ 31.Kxf3 Da8 32.Kf2 Ta5 33.Tdb1 d4 34.exd4 exd4 35.Kg1 b3 36.Df2 Da7 37.Tf1 Lxf1 38.Txf1 Tf5 0-1












Stellung nach:

Allwermann - Böhm [A88]
Schmiden, 1994

ich bin mir nicht sicher, ob dies der gleichnamige Spieler ist, der den Skandal im HP-Open von 1998/99 verursacht hat...ist in diesem Zusammenhang auch nicht wichtig 1.d4 f5 2.g3 Sf6 3.Lg2 g6 4.c4 Lg7 5.Sc3 0-0 6.Sf3 d6 7.0-0 c6 8.b3 Sa6 9.Lb2 Ld7 10.Dc2 b5!!








ein zweites Mal muß das natürlich unbedingt probiert werden...Ideen sind die gleichen wie in Partie "Müller-Böhm", hier soll der Umstand ausgenutzt wedren, daß die w.Dame auf c2 und in der c-Linie steht... 11.Sd2? sieht man die nachstehenden Varianten von FRITZ, muß man das schon als Fehler bezeichnen, denn nun erhält S. Vorteil [11.cxb5 Sb4 12.Dd2 cxb5 13.Sxb5 (13.Sg5 Fritz 5.32: 13...Tb8 14.a3 Sa6 15.Tfc1 h6 16.Sf3 Tc8 0.44/8; 13.Sh4 Fritz 5.32: 13...Tb8 14.Tfc1 e6 15.a3 Sbd5 16.Sxd5 Sxd5 17.Sf3 0.34/8; 13.Se1 Fritz 5.32: 13...Tb8 14.a3 Sc6 15.Tc1 e5 16.dxe5 dxe5 17.Sd3 0.28/8) ] 11...bxc4 12.Sxc4 Sb4 13.Dd2 Sbd5 14.Sxd5 cxd5 15.Sa3 a5 16.f3 Db6 17.Kh1 eine jener "Beton"-Stellungen, die man erst mal knacken muß 17...h5 18.h4 Kh7 19.Tfe1 Lh6 20.e3 Tfe8? der falsche Plan, wenn e5 beabsichtigt war... 21.Lf1 Tg8 22.Ld3 e6 23.Te2 g5 jetzt paßt alles wieder zusammen 24.Tg1 gxh4 25.gxh4 Txg1+ 26.Kxg1 Tg8+ 27.Tg2 e5 28.Sc2 e4 29.Le2 Txg2+ 30.Kxg2 exf3+ 31.Lxf3 Dd8 32.De1 f4 aufgrund der 2 schlechtstehenden Figuren b2, c2 von W. war der Tausch der Schwerfiguren berechtigt, jetzt greift man abwechselnd den König, und die hängenden Figuren an 33.Lc1 Dg8+ 34.Kh2 Dg6 35.Ld1 Lf5 36.Df2 Lg4 37.exf4 Lxd1 38.Se3 Se4 39.f5 Dg8 40.De1 Lf4+ 41.Kh3 Lg4+ 42.Kg2 Le2+ 43.Kh3 Lf1+








ein sehr schönes Abschlußbild...! 0-1












Stellung nach:

Döring (2275) - Böhm,M (2250) [A87]
Groningen, 1992

1.d4 f5 2.g3 Sf6 3.Lg2 g6 4.Sf3 Lg7 5.0-0 0-0 6.c4 d6 7.d5 Sa6 8.Sc3 Ld7 9.Sd4 Dc8 10.Tb1 c6 11.dxc6 bxc6 12.b4 Tb8 13.Sc2 die Manöver zwischen 10. und 13. weißem Zug enthielten m.E. ebenfalls neues Potential, jedenfalls nahm ich diese Kampfstellung gerne an... 13...Sg4! plant den schwachen c4 anzugreifen und da Lb2 nicht geht, die optimale Figurenaufstellung zu erschweren 14.Ld2 Se5 15.b5 Sc5 16.Se3 cxb5 17.cxb5 e6 18.a4 f4! 19.gxf4 Txf4 sonderbare Stellung, Weiß hat sein ganzes Zentrum abgeben müssen, die Figurenstellung mit Se3 ist absolut ungewöhnlich 20.Tc1 Df8 geht rechtzeitig aus der Turm-Schußlinie 21.f3 Td4!!








fesselt die weißen Figuren, und verurteilt S. zur Untätigkeit, daher wickelt S. ab 22.Sc2 Txd2 23.Dxd2 Sb3 24.De1 Sxc1 25.Dxc1 Dc8?! [25...Sc4 Fritz 5.32: 26.Se4 Sb2 27.Lh3 Sxa4 28.Da3 Txb5 29.Td1 Sc5 30.Sxd6 -1.13/10; 25...Tc8 Fritz 5.32: 26.Sa2 d5 27.Sab4 Tc4 28.Dd2 Lh6 29.e3 d4 30.Sd3 -0.84/10; 25...d5 Fritz 5.32: 26.e3 Dc5 27.Sa2 Sd3 28.Dd2 Sb2 29.Tc1 Sxa4 30.Sd4 -0.78/10] 26.Sa2 Dc4 27.Scb4 Dxe2 28.Tf2 Dc4 29.Tc2 Db3 30.Sc6 Tf8 31.f4 Lh6 32.Tf2 Dxa4 33.Sc3 Dc4 34.De1 Sd3 35.Lf1








35...Txf4 36.Txf4 Lxf4 37.Se4 Sxe1 38.Lxc4 Kf7 39.Kf1 Sc2 40.Sxa7 Se3+ zum Schluß entscheidet das Zeitnot-Duell durch einfachen Fehler von S. 0-1












Stellung nach:

Müller,M (2295) - Böhm,M (2250) [A87]
Groningen, 1992

1.d4 f5 2.Sf3 Sf6 3.g3 g6 4.Lg2 Lg7 5.0-0 0-0 6.b3 d6 7.Lb2 c6 8.c4 Sa6 9.Dc2 Ld7 10.Sbd2 b5!!








wieder juckt es mich, nachdem W. wieder die Dame auf c2 stehen hat, diese Struktur nach b5 zu prüfen... 11.Tfe1 Tb8 droht nach bxc4 und bxc4, Einfluß auf Lb2 evtl. in Verbindung mit c5 zu erhalten... 12.Sh4?! Sb4 13.Db1 bxc4 14.bxc4 [14.Sxc4 a5 15.a3 Sbd5 16.Dc2 stark stehender Springer auf d5 und keine Perspektive mit Be4..das gefiel W. sicher garnicht, daher bxc4] 14...f4?! Linienöffnung auf beiden Seiten, aber evtl. c5 mit besserem Springerfeld als in der Partie (a6) [14...c5 15.dxc5 dxc5 16.Le5 Tb6 17.Sb3 Sc6 18.Lxc6 Lxc6 19.Dd3 Dc8 20.Sxc5 La8 21.Da3 Tc6 22.Sd3÷] 15.a3! Sa6 16.Da2 Sg4 [16...Da5 17.Shf3 fxg3 18.hxg3 Dh5 19.e4 c5 mit Angriffsideen wie Sg4, oder cxd4 nebst Sc5..?] 17.Shf3 c5 18.gxf4 Txf4 19.e3 Tf5 20.h3 Sh6 21.Tab1 in bereits großer Zeitnot findet W. a) gute Verteidigungszüge, die entlasten und die Stellung klären, b) aber auch nicht den Gewinn ...weil er nun blitzt, geraten meine Züge nun auch nicht mehr optimal 21...Th5 22.d5! W. droht alles über die von mir kunstvoll geöffnete b-Linie zu tauschen...um Verflachungen zu vermeiden, opfere ich vorübergehend auf b2 22...Txb2 23.Txb2 Dc8 24.h4 Lh3 alles im Sinne von FRITZ 5.32 gespielt 25.Kf1 Lxg2+ 26.Kxg2 g5 [26...Lxb2 27.Dxb2 Sf5 28.Th1 Sxh4+ 29.Txh4 Txh4 30.Sxh4 Dg4+ 31.Kf1 Dd1+ 32.Kg2 Dg4+= war mir zu wenig] 27.Db1 Lxb2 28.Dxb2 gxh4 [28...Sf5 Fritz 5.32: 29.Th1 Sxh4+ 30.Kf1 h6 31.Sxh4 Txh4 32.Txh4 gxh4 33.Dc2 -0.91/12; 28...g4 Fritz 5.32: 29.Sg5 Sf5 30.Se6 Sc7 31.Sxc7 Dxc7 32.Tb1 Dd8 33.Db8 -0.66/12] 29.Tg1 Kf7 30.Kf1 Sg4 31.Dc2 h3 32.De4 h2 33.Th1 Sf6 34.Df4 Dh3+ 35.Ke2 Tf5 Zeitnot 36.Sg5+ Txg5 37.Dxg5 Sg4 38.Df4+ Ke8 39.Sf3 Dg2 40.Txh2 Sxh2 41.Dxh2 Dg6 42.Dh3 Dc2+ 43.Sd2 Kd8 44.De6 Sc7 45.Dg8+ Kd7 46.Db8 a6








ein spannender Kampf, der sich vom Damenflügel bis zum Königsflügel erstreckte, eine typische Eigenart dieses b5-Zuges...und ein witziges Schlußbild, beide Könige geschützt durch ihre springenden Leibwächter 1/2-1/2



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